In den frühen 1980er Jahren habe ich begonnen, mich ausgiebig und differenziert mit der Bedeutung, der Anwendung und dem Inhalt von Zeichen auseinander zu setzen. Dabei hat mich insbesondere die Semiotik, also die Lehre von den Zeichen sehr interessiert.

In dieser Zeit habe ich viel gelesen, vor allem Claude Lévi-Strauss, Roland Barthes und Jean Baudrillard. Zu den üblichen Fragestellungen zu Semantik, Syntax und Pragmatik habe ich vor allem den Ansatz der Materialität mit einbezogen. Die Frage nach dem Bildträger ist für mich entscheidend. In vielen Projekten bin ich zuerst von der Materialität ausgegangen. Das war für mich der ausschlaggebende Gedanke. 


Jean Baudrillard: «Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen» – Claude Lévi-Strauss: «Das wilde Denken», – Ludwig Wittgenstein: Sätze und Gedanken verhalten sich zur Welt wie Bilder sich zur Welt verhalten. – Frank Zappa – Tom Wolfe


Appropriation Now !

Der Begriff der Aneignung ist so alltäglich und vielschichtig wie er kunsthistorisch gesehen eine spezifische künstlerische Formation – die 'Appropriation Art' – markiert. Warum sollte es sinnvoll sein, sich heute wieder mit dem vieldiskutierten Komplex der 'Appropriation Art' zu befassen ? Weil es sich hier um eine Art Urszene handelt – sowohl für kunstkritische Parameter als auch für künstlerische Techniken. Der Name 'Appropriation Art' kam in den frühen Achtziger Jahren auf – ein Label, mit dem die unterschiedlichsten Künstler*innen wie Sherrie Levine, Richard Prince, Cindy Sherman oder Robert Longo von Kritiker*innen und Kurator*innen auf den gemeinsamen Nenner ihres approbierenden Verfahrens gebracht und zu einer Bewegung geschmiedet wurden. Auch für die zweite Generation der appretierenden Maler – etwa David Alle oder Philipp Taaffe – konnte dieser Begriff in Ausstellungen wie Endgame (Institute of Contemporary Art, Boston, 1986) noch in Anspruch genommen werden, was seine enorme Elastizität, aber auch seine Unschärfe illustriert. Die frühen Vertreter*innen der 'Appropriation Art' sollten sich im damaligen Verständnis durch ein künstlerisches Verfahren auszeichnen, das sich im Wesentlichen über Aneignung definierte – Aneignung medialer Vorlagen. Als Medien dieser Aneignung hatten die Verfechter dieser Kunstrichtung – wie Douglas Crimp oder Craig Owens – allerdings ausschliesslich Fotografie und Video vorgesehen. Gegen einen solchen Ausschluss der Malerei setzte sich der Künstler Thomas Lawson mit einem bahnbrechenden Text «Last Exit Painting» (1981) erfolgreich zur Wehr – einem Text, der aus dem Korsett der damals bestehenden Vereinbarungen herauszutreten suchte. Interessant ist aus heutiger Sicht, dass sämtliche Fürsprecher der 'Appropriation Art' das Verhältnis zu den von dieser angeeigneten Vorlagen zu einem a priori kritischen und distanzierten erklärten. 'Appropriation Art' schloss danach einen Moment der Negation ein. So aufgeladen war dieses Konzept, dass man das appretierende künstlerische Verfahren schon mal mit einer interventionalistischen, politischen Handlung verwechselte oder – etwa bei Sherrie Levine – zum Diebstahl überhöhte. Ein derartiges Pathos scheint heute vollständig unangemessen, zumal es wohl kaum junge Künstler*innen gibt, die noch nie in ihrem Leben etwas approbiert hätten. 'Appropriation Art' ist gleichsam ins Repertoire eingegangen, ist künstlerischer Standard geworden.

Indes stellt das Modell 'Appropriation Art' eine produktive Unterscheidung zur Verfügung: die zwischen parodierendem Verfahren und approbierendem Gegenstand. Dies mag zwar auf den ersten Blick wie eine Neuauflage der «Form-Inhalt-Dichotomie» anmuten, doch wenn man die aneignende Technik und das angeeignete Material als prinzipiell zusammengehörig begreift, wird es möglich, ihre jeweils spezifisch ästhetische Vermittlung zu erörtern, und dies wiederum dient der Kriterienbildung. Die Fürsprecher der 'Appropriation Art' hatten sich primär auf den angeeigneten Gegenstand eingeschworen – dem künstlerischen Verfahren selbst schenkte man kaum Beachtung. Erst mit dem Aufkommen malerischer Appropriationen sah man sich dazu genötigt, zwischen guter und schlechter Aneignung zu unterscheiden und die Frage nach dem wie in den Vordergrund zu rücken. In einem nächsten Schritt könnte man nun auch die bekanntesten Appropriations-Arbeiten der ersten Stunde von ihrer formal-ästhetischen Seite her betrachten. Gerade das Frühwerk von Richard Prince scheint ja weniger Ausdruck einer appretierenden Strategie zu sein, als dass in ihm persönliche Idiosynkrasien mitschwingen, die förmlich ausgelebt werden, beinahe in der Manier der abstrakten Expressionisten. Während die anderen Künstler*innen, die wir für diese Ausgabe um Statements gebeten haben, identifikatorische (Tom Burr) bzw. pragmatische (Sherrie Levine) Wendungen der Approbation propagieren, lässt sich Prince – jedenfalls in gewisser Hinsicht – als formalistischer Künstler beschreiben.

Ein solcher Vorschlag soll jedoch nicht die historische Bedeutung jener Kritik mindern, die die renommiertesten Apologeten der 'Appropriation Art' – Rosalind Krauss, Hal Foster, Benjamin  Buchloh – am Formalismus geleistet haben: Zu Recht wandten sie sich gegen ein restriktives Verständnis des Mediums à la Clement Greenberg, zumal für diesen allein die Malerei als Medium in Frage kam. Im Umgang der Maler mit ihrer vermeintlichen Gesetztmässigkeit lag für ihn der Qualitätsbeweis. Mit dem Modell «Appropriation Art» schlug das Pendel nun in die entgegengesetzte Richtung aus: Das wie auch immer gearbeitete Medium galt als vernachlässigenswert oder als blosses Mittel zum Zweck – eine instrumentelle Sichtweise, die in den neunziger Jahren noch von den schärfsten Modernismus-Kritiker*innen, am prominentesten Rosalind Krauss, korrigiert wurden. Heute scheint das Medium zwar seine absolute Autorität eingebüsst zu haben, gilt aber gleichwohl nicht mehr als vollkommen nebensächlich.

 

Esther Buss, Isabelle Graf, Clemens Krümmel, «Appropriation Now!», in: TEXTE ZUR KUNST, 12. Jahrgang, Heft 46.

 


Appropriation Art

Wie sich anhand des Begriffes der 'Appropriation Art' zeigen lässt, unterliegen kunsttheoretische Bezeichnungen oft nur an einem Ort und innerhalb einer bestimmten historischen Phase einer genauen Definition. Der Kunstkritiker Douglas Crime präsentierte 1977 unter dem Titel Pictures im alternativen Ausstellungsraum Artists Space in New York aktuelle künstlerische Verfahrensweisen, die als postmodern begriffen wurden. Die vertretenen Künstler*innen waren Troy Brauntuch, Jack Goldstein, Sherrie Levine, Robert Longo und Philip Smith. Crime weist im Katalog vor allem darauf hin, dass die in den Werken angelegten Prozesse das Zitierens, Exzerpierens, Rahmens und Aufführend die kulturelle Repräsentationsstrategien von Kunst offenlegen. Damit wendet er sich gegen eine Theorie, die die Kunst schon vor der Pop Art von Zitaten beherrscht sah und somit ikonographische Nachahmungslinien konstruierte, um phänomenologische Ursprungsquellen zu behaupten. Mit Pictures formulierte Crime hingegen einen neuen, postmodernen Bildbegriff in Relation zu veränderten Rezeptions- und Produktionsformen, die auf der gesellschaftlichen Bilddominanz der Massenmedien beruhen. Diese Kunstpraktiken, die sich programmatisch auf fotografische und filmische Reproduktionsweisen beziehen, richten sich nicht mehr an den Kunstkenner, der die reichhaltigen Referenzen zur Geschichte der Kunst erklären kann, sondern vor allem an Künstler*innen, die sich selbst als reproduzierende Rezepient*innen begreifen. Dafür wurde der Begriff der 'Appropriation Art' geprägt, als dessen grösster gemeinsamer Nenner die Vorgehensweise der strategischen Aneignung (Appropriation) von fremder Bildlichkeit gilt. In diesem Sinne reklamiert Crime für die Pictures Künstlergeneration eine kritische Position gegen die nach seiner Meinung stilistische Beliebigkeit, wie sie sich um 1980 in der als regressiv betrachteten Malerei des New Image Painting und der heftigen Malerei breitmacht.

 

Sherrie Levine, die bereits bei der Pictures Ausstellung beteiligt war, fiel 1981 in NY durch eine Präsentation von Fotografien auf, die wiederum auf fotografischen Aufnahmen von Walker Evans aus den 1930er Jahren basieren. Mit ihren Bildern, die sie mit dem Hinweis «Sherrie Levine: After Walker Evans» ausstellte, markiert die Künstlerin eine extreme und viel diskutierte Position, da sie die Kategorie der künstlerischen Originalität ad absurdum zu führen scheint. Denn die Fotoarbeiten weisen keine feststellbaren medialen Unterschiede zu Evans bekannten Dokumentarfotografien auf. Levines Bilder irritieren, weil sie scheinbar keine eigene künstlerische Leistung in Form einer originären Schöpfung oder einer originellen Bildfindung darstellen. Indem sich die Künstlerin fremde Bilder als Vorlagen für eigene Arbeiten aneignet, weist sie damit die traditionelle Grundannahme zurück, dass einem Kunstwerk ein kreativer Akt zugrunde liegt. Zudem stellt sie nicht nur die Ideologie der Originalität in Frage, mit der das kunstkritische Expertentum eine traditionelle Verbindung betreibt, sondern auch die der Originalitätsvorstellung implizite Norm der eindeutigen Autorschaft. Ihre Strategie ist letztendlich eine kritische Reflexion der künstlerischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen von moderner Kunst. Denn eine Wieder-Fotografie einer Walker-Evans-Fotografie durch Levine bedeutet eine radikale Differenz hinsichtlich des Motivs, des Inhalts, der Konzeption, der Intention, des Kontextes und der Verwendung des Mediums gegenüber der Vorlage. Mit diesem kritischen Anspruch assoziierte die damalige Kunstkritik ebenso die Plakatarbeiten von Barbara Kruger, die filmstillartigen Sebstinszenierungen von Cindy Sherman, die Aneignung von Werbeklisschees bei Richard Prince und in privaten und öffentlichen Präsentationszusammenhängen fotografierten Arrangements von Louise Lawler. Die Wieder-Fotografie von Richard Prince, die dieser der Künstlerlegende nach erstmals Ende der 1970er-Jahre angewendet hat, kann von der Aneignung bei Kruger, Sherman oder Levine insofern unterschieden werden, als es für Letztere nicht nur um die Durchsetzung als Künstlerinnen, sondern auch explizit um eine feministische Kritik der bis dahin männlich dominierten Kunstwelt geht.

Der amerikanische Kunsttheoretiker Craig Owens formulierte 1980 seine poststrukturalistische Denkweise: «Appropriation, Ortsbezogenheit, Vergänglichkeit, Akkumulation, Diskursivität, Hybridisation – diese unterschiedlichen Strategien charakterisieren sehr gut die gegenwärtige Kunst und unterscheiden sie von ihren modernistischen Vorfahren.» Während, so Owens, die moderne Kunst weitgehend auf Selbstreferenz basiert, problematisiert die postmoderne Kunst ausdrücklich ihre Referenzen. Für die fotografischen Appropriation Art suggerierten die Begriffe «geraubt, konfisziert, gestohlen» (Douglas Crime) eine für die 1980er-Jahre typische subversive Rhetorik der Kritik, die sich dem auf einem institutionalisierten Autonomiebegriff des Kunstwerkes basierenden Moralcode der Originalität zu widersetzen versuchte. In diesem Sinn definierte die Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss 1981 die Originalität als Ideologie der modernistischen Avantgarde, die auf der Konzeption eines «Selbst als Ursprung» aufgebaut sei. Die aneignenden Verfahrensweisen demonstrieren hingegen mittels Reproduktion genau diese Struktur, die von der Kunstinstitution als originell, das heisst als neu und einmalig, behauptet wird. Die Benutzung des Begriffs 'Appropriation Art' im postmodernen Kontext kehrte die alte Bedeutung des Terminus «Aneignung» als kolonialistische Eroberung, als Vereinnahmung oder verwertende Rückaneignung (Rekuperation durch ein Regime oder die Kulturindustrie) um und machte daraus ein strategisches künstlerisches Instrument; so spricht diesbezüglich der Kunsttheoretiker Benjamin H. D. Buchloh nach Berthold Brecht von einer «Umfunktionierung». Bereits zu Anfang der 1960er-Jahre hatte sich auch der Theoretiker Guy Debord mit einer spezifischen Form der subversiven Aneignung («Détournement») anhand der künstlerischen Technik der Collage auseinandergesetzt.

Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, die 'Appropriation Art' nicht jeweils ausschliesslich für einen künstlerischen Stil, eine Verfahrensweise, einen Markennamen, die Erfindung eines Kunstmagazins oder eine Kunsttheorie zu halten. Erst das multiplizierende Zusammenspiel von all dem ergibt die diskursive Formation, die sich als Appropiation Art verstehen lässt. Das gemeinsame mediale Vehikel dieses Diskurses war vor allem die von Rosalind Krauss mitbegründete amerikanische Theoriezeitschrift OCTOBER. Als institutionelle Fortsetzungen können in New York die Galerie Metro Pictures und das New Museum of Contemporary Art genannt werden. Die systematische Kritik der herrschenden Verhältnisse mittels Schaffung dieser eigenen Substanz-Institutionen war höchst bedeutsam, da sie als Orte diskursiver Macht die Voraussetzungen für den Erfolg der Appropriation Art bildeten. Die OCTOBER-Autor*innen definieren die Postmoderne als einen nicht auf stilistische oder erkenntnistheoretische Fragen zu reduzierenden Bruch mit der Moderne. Sie wenden die französische Philosophie der Rekonstruktion auf die 'Appropriation Art' an, die mittels der aktualisierten Begriffe «Ortsbezogenheit» und  «Institutionskritik» in eine konzeptdualistische Genealogie einbezogen wird. Die 'Appropriation Art' relativiert somit die (männlichen) Mythen der Moderne – die Begriffe der Autorschaft, Authentizität, Originalität und die Hierarchie zwischen hoher und populärer Kultur.

 

Stefan Römer, «Appropriation Art», in: Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Hg. Hubertus Butin, Verlag Snoeck, Berlin 2014.

 


ORDNUNG

Nicht jeder weiss, dass wir die letztgültige Bestimmung des Begriffes «Ordnung» nicht Platon, Hegel oder Adorno, sondern dem grossen Gatsby verdanken. Nicht der literarischen Figur Gatsby. Ganz im Gegenteil. Dem Autor Fitzgerald wären in diesem Zusammenhang vielmehr die allergrössten Vorwürfe zu machen. Sein Werk, «Der grosse Gatsby», hat eine Riesenchance verpasst. Es könnte heute einen Focus Classicus enthalten vom Format der Proustschen Madeleine, tausendmal täglich zitiert. Nichts dergleichen ist jedoch der Fall. Glatt verschenkt ist die Szene, glatt verschenkt in ein paar Sätzen.

Es musste erst Jack Clayton kommen. Natürlich. Es brauchte erst einen Regisseur aus Hollywood, der das Potential dieser grossen Szene erkennt und ihr den angemessenen Raum gibt. Gatsby, der undurchsichtige, führt Daisy zum ersten Mal durch sein unglaublich palastartiges, neoklassizistisch-blitzweisses und luxuriös – aber – geschmackvoll möbliertes Haus an der Küste Floridas. Man gelangt in das Schlafzimmer. Da kommt’s: Gatsby ist von sich selbst geschwätzig begeistert. Er öffnet die Türen seines Wandschrankes, die praktisch als Altarflügel fungieren. Was wir sehen, sind Hemden: Hemden ohne Zahl, organisiert in idealen Stapeln zu jeweils einem Dutzend. Unwirklich akkurat sind diese Stapel angerichtet auf einzelnen Mahagonischüben, deren polierte Griffleisten duff aufglänzen. Totale: Das eben ist es. Ordnung. Ein Bild, drei Meter in der Breite, drei in der Höhe. Perfekt. Ordnung.

Was daraufhin passiert ist nurmehr ärgerlich: Die Schändung des jungfräulichen Arrangements, eine plumpe Anspielung auf den Sündenfall natürlich. In kindischem Übermut fordert Gatsby dazu auf, die edlen Stoffe zu befühlen. Einzeln zunächst und noch andächtig holt der Zweifelhafte die Hemden hervor. Dann wird er zusehends vom dionysischen Zahn befallen. Wild reisst er ganze Stapel heraus und wirft sie unter rasendem Gelächter durch den Raum. Gatsby zerstört. Wir mögen das nicht. Der Mann ist uns nicht geheuer. Was soll das? Wer soll das wiederaufräumen? Bestimmt nicht Gatsby. Der nicht.

Selbstverständlich versteht ausnahmslos jeder, was gemeint ist: Der Luxus beginnt dort, wo der Respekt vor dem schön-teuren aufhört. Da wird es nämlich in Besitz genommen. Das ist vollkommen klar, wir sind ja nicht doof. Vielmehr verhält es sich so, dass wir ja gerade deshalb Gatsby nicht mögen. Weil wir natürlich sehr wohl Respekt haben vor der Schönheit der Dinge. Noch mehr vor dem Wert der Dinge. Wir wissen, dass wir die Sachen nie so hinbekommen wie Gatsby, der über den Dingen steht. Er ist gross, wir sind klein. So ist es eben.

Zum Beispiel wären wir ja auch nicht imstande, die Villa Tugendhaft zu bewohnen. Was Mies van der Rohe da 1930 im malerischen Brünn gebaut hat, finden wir natürlich ganz, ganz herrlich. Wir finden unbedingt passend, wie Lilly Reich die Architektur durchmöbliert hat. Smaragdgrünes Leder, rubinroter Samt, schwarze Shantu-Seide. Das alles gegen Chrom und Glas und eine gigantische Onyx-Wand. Herrlich. Wer aber darin wohnen kann, muss zweifellos manisch sein oder grob ignorant oder eben über den Dingen stehen. Wie Gatsby. Der hätte darin wohnen können, natürlich. Das Haus war übrigens ein Hochzeitsgeschenk des Brautvaters an das junge Paar Tugendhaft, wenn wir uns recht erinnern. Kann man sich so etwas vorstellen?

Aber es ist ja gar nicht das Haus. Das weiss wiederum jeder, der schon mal von der Spring Street 101 in New York gehört hat. Dort war es nämlich Donald Judd, dem es gelang, ein vollkommen durchschnittliches Fabrikgebäude unbewohnbar zu machen, allen dadurch, dass er es möbliert hat. Oder eben weitgehend gerade nicht möbliert hat. Räume, die quälende Kindheits-Traumatas hervorkehren: Mach hier mal Ordnung! Jeder Raum ein stummer Vorwurf. Wenn man alles aufgeräumt hat, stört etwas doch immer noch. Man macht die Feststellung, es selbst zu sein. Man muss ausziehen, der Ordnung wegen.

Ja, so ist das. Ordnung hat ganz entschieden eine Dimension, die jenseits unserer geringfügigen Möglichkeiten liegt. Wir müssen einsehen, dass wir damit nichts zu schaffen haben. Ordnung gehört dem Universum der unerreichbaren Ideen an. Die gleissende Schönheit des Massverhältnis 5:7 ist nicht von dieser Welt und entsprechend auch intellektuell nicht berührter. Sie ist nur demütig anzuschauen.

 

Sven Kröger, «Ordnung», in: Nummer 2, Hg. Kunsthaus Baselland, Muttenz 1998.